Die erbitterten Verhandlungen über die Zukunft Griechenlands, die vergangene Woche in Brüssel stattfanden, hinterließen große Unsicherheiten. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob Athen den mühsam erzielten Kompromiss respektieren wird. Knackpunkt ist nicht nur der finanzielle Inhalt der Verhandlungen, denn die Belastung durch die griechischen Schulden ist angesichts der bereits günstigen Rahmenbedingungen relativ gering. Der eigentliche Zweifel besteht darin, ob der Kompromiss mit der griechischen Rhetorik über seine demokratische Souveränität politisch vereinbar ist.
Die Athen – aber potenziell auch allen anderen europäischen Ländern – angebotenen Alternativen zwischen dem Ausstieg aus dem Euro und der Nichteinhaltung der Wahlversprechen wurden in Griechenland als Verpflichtung interpretiert, die nationale Souveränität unter dem Druck Europas zu opfern. Die aggressive Rhetorik der Athener Plattform und einige überaus harsche Töne der griechischen Gesprächspartner in der Eurogruppe machten den Verzicht auf nationale Vorrechte – eher eine Folge der Hochverschuldung als der europäischen Zwangsjacke – noch schmerzhafter. Letztendlich wird diese Spannung einen langen Schatten auf die Umsetzung der Abkommen werfen.
Oberflächentemperaturen von Planeten
Das Tauziehen zwischen Brüssel und Athen endete eigentlich zweideutig. Die griechische Regierung musste von den Partnern diktierte konkrete Zusagen schlucken, versuchte aber von Anfang an, das Abkommen in der Heimat als Sieg zu verkaufen. Der politische Widerspruch zwischen internationalem Engagement und nationalem Konsens war sofort offensichtlich und wird sich in den nächsten Monaten verschärfen, wenn den Worten parlamentarische Entscheidungen folgen müssen.
Es mag überraschend klingen, aber dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras wird ein Monti-Moment bevorstehen: ein Versuch, die Waage neu auszubalancieren und die langjährigen materialistischen Gewohnheiten seines Landes innerhalb weniger Monate ohne konkrete Hilfe der europäischen Partnern und in einem fragilen wirtschaftlichen Umfeld. Die italienische Erfahrung des ehemaligen Ministerpräsidenten Mario Monti im Jahr 2012 hat gezeigt, wie schwierig und politisch undankbar diese Bemühungen sein können.
Nachdem die Eurogruppe Athen harsch aufgefordert hatte, am Sparprogramm festzuhalten, musste die neue griechische Regierung eine Liste von Reformen nach Brüssel schicken, die ihre politische Front weg vom europäischen Schlachtfeld und direkt auf das inländische Schlachtfeld verlagerte. Tsipras will nicht mehr gegen Berlin und die Troika EU-Kommission (EC), Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) kämpfen, sondern gegen seine heimischen Wirtschaftsfeinde: Steuerhinterziehung von Oligarchen, Korruption lokaler Amtsträger, illegaler Kapitaltransfer ins Ausland, Steuervorteile beim Rohstoffhandel, Energieschmuggel und Schattenwirtschaft. Diese und andere Merkmale der griechischen Gesellschaft haben ihre Entwicklung jahrzehntelang behindert und das Wirtschaftssystem so ungerecht gemacht, dass großzügige soziale Gegenmaßnahmen unabdingbar wurden und die öffentlichen Ausgaben außer Kontrolle brachten.
Eine Reihe von wirtschaftstheoretischen Studien stützen, wenn auch manchmal voreilig und stark vereinfacht, die Idee, dass institutionelle Schwäche die Hauptursache für die wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit eines Landes ist. Leider gibt es neben dem gesunden Menschenverstand auch eine ideologische Komponente. Dieser moralistische Ansatz geht davon aus, dass schwache Volkswirtschaften ein Spiegelbild ungeordneter Gesellschaften sind und ihre politischen Vertreter folglich weniger Recht auf Gehör und Respekt haben, wenn sie mit den Regierungen von Ländern mit stärkeren Volkswirtschaften konfrontiert werden.
Die Argumentation hinter dem Kräfteverhältnis der Eurogruppe ist widersprüchlich. Um Länder zu reformieren, deren Institutionen dysfunktional sind, deren Justizsystem schlecht funktioniert oder deren öffentliche Verwaltung ineffizient ist, ist es unerlässlich, dass die Regierung zumindest auf den öffentlichen Konsens zurückgreifen kann. Wie in den letzten Jahren in Italien und anderen Ländern zu beobachten war, kann eine Wirtschaftskrise die politischen Bemühungen leicht zum Scheitern bringen.
Tsipras genießt keine solide parlamentarische Mehrheit. Seine Partei Syriza ist eine heterogene Koalition, der es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, ihre Komponenten zu einer einzigen Partei zu verschmelzen. Auch die Regierungskoalition mit der rechten ANEL-Partei ist ideologisch uneinheitlich. Nachdem das Schlachtfeld von einer Anti-Euro-Kampagne an die innenpolitische Front zurückgekehrt ist, wird die Links-Rechts-Unterscheidung wieder wichtig. Die Steuerpolitik kann eine Kluft sowohl in der Regierung als auch in der Gesellschaft öffnen und die Kapitalflucht neu entfachen.
Die Eurogruppe unterschätzt die missliche Lage von Tsipras. Es bot nur in diesem Jahr mehr Flexibilität beim Budget. Aber es wurde nur sehr wenig vorgeschlagen, um europäische Investitionen wieder in die griechische Wirtschaft zu bringen. Das Misstrauen ist offensichtlich: Die Verlängerung des Programms um vier statt sechs Monate bedeutet, dass Athen bis Juni ein neues Programm aushandeln muss, genau dann, wenn es in eine Schwächephase geraten wird. Im Juni muss sie die EZB-Kredite zurückzahlen, die sie über Wasser halten. Die Liste der Reformen muss noch von der Troika genehmigt werden. Jede Auszahlung der EU-Hilfe hängt von der Zustimmung des EU-EZB-IWF auf der Grundlage der Erfüllung des Programms ab.
Die finanziellen Probleme des griechischen Staates bleiben unverändert, und unter diesem Druck muss das Parlament in Athen die beschlossenen Reformen bis Ende April in Gesetze umsetzen. Wenn die neue griechische Regierung die Brüsseler Vereinbarung einhält, wird der innere Zusammenhalt der Regierungskoalition stark belastet und ihr politischer Antrieb geschwächt. Verstößt die Regierung stattdessen gegen die Vereinbarungen, werden die europäischen Institutionen Athen als unzuverlässigen Partner denunzieren, die finanziellen Lebensadern zurückdrehen und das Land letztendlich aus der Eurozone drängen.
In beiden Fällen sind die politischen Implikationen unweigerlich enorm und die komplexe Frage nach der Vereinbarkeit nationaler demokratischer Souveränität und europäischer Integration wird neu aufgeworfen. Letztlich könnte sich in einem noch immer unvollständigen und noch zu definierenden europäischen demokratischen Kontext eine neue Ausrichtung zwischen den einzelnen Nationen und den europäischen institutionellen Mächten herausbilden.
Tsipras muss den politischen Widerspruch klären, mit dem er konfrontiert ist: Er gewann die Wahl mit dem Versprechen, die bestehenden Abkommen des Landes mit den europäischen Institutionen zu überarbeiten. Inmitten der harten Auseinandersetzung mit Europa bekräftigte Tsipras am vergangenen Dienstag, dass seine Regierung diese Wahlversprechen einhalten will. Das griechische Parlament ist nun aufgerufen, über Reformmaßnahmen abzustimmen, die von den früheren Vereinbarungen mit der Troika abweichen. Der Gegensatz zu den Bedingungen, die von den anderen europäischen Regierungen durch die Eurogruppe auferlegt wurden, ist beträchtlich. Athen wurde aufgefordert, die Reformen aufrechtzuerhalten; neue Maßnahmen zu akzeptieren, auch wenn sie sich nicht auf das Defizit auswirken; um sicherzustellen, dass es seine Schulden begleicht; mit der Troika zusammenzuarbeiten; und das vereinbarte Programm zu verwirklichen.
In vielen anderen Fällen musste sich die nationale Demokratie während der Eurokrise mit Fragen der europäischen Vereinbarkeit auseinandersetzen: Referenden (Irland und Griechenland), Wahlen (Spanien und Italien), Urteile von Verfassungsgerichten (Deutschland und Portugal) waren Gegenstand Tauziehen zwischen den Hauptstädten und Brüssel. Aber noch nie hat es eine so radikale Konfrontation gegeben. Tsipras scheint nun gezwungen zu sein, nachzugeben und eine Verlängerung des bestehenden Programms zu akzeptieren, aber er bleibt ungeheuer zweideutig in Bezug auf die Einhaltung.
Von Anfang an zwischen Drohungen und Unerfahrenheit gefangen, wies Athens unilaterale Strategie grundlegende Mängel auf. Tsipras bediente sich dabei zweier Hebel: Zum einen drohte, dass ein Scheitern der Verhandlungen und ein damit verbundener Grexit aus der Währungsunion den Weg für einen Austritt anderer Länder ebnen würden. Der zweite Hebel war die demokratische Legitimität der Regierung in Athen, die im Gegensatz zur Eurogruppe vom Volk gewählt wurde und auf der Grundlage eines expliziten Mandats handelt. 70 Prozent der Griechen sind jedoch tatsächlich gegen einen Austritt aus dem Euro. Das demokratische Mandat rechtfertigt somit keinen Grexit, die einzige Option, die die griechische Verhandlungsposition gewaltig machen würde. Das Bedrohungspotenzial wird auch durch Maßnahmen der EZB zum Schutz des Euro-Währungsgebiets reduziert. Schließlich widersetzen sich andere Regierungen, die sich an die Anpassungsprogramme gehalten haben, jeglichen Ausnahmen für Griechenland. Die griechische Regierung hat auch das Interesse anderer Länder der Eurogruppe unterschätzt, die Verhandlungen mit Athen als Schaufenster zu nutzen, um die Risiken und die Blödheit populistischer Parteiagenden aufzudecken, die auch ihre Macht im eigenen Land bedrohen.
Auch wenn eine Mehrheit der Griechen lieber auf den Euro verzichten würde, als Vereinbarungen zu akzeptieren, die sie verständlicherweise für unfair halten, ist es fraglich, ein Recht zu behaupten, die griechische Demokratie vor dem Eindringen der europäischen Technokratie zu schützen. Immerhin basiert die Position Athens auf Syrizas innerstaatlichem Wahlkampfversprechen, andere europäische Bürger wegen der Lockerung der finanziellen Bedingungen in Griechenland anzuklagen. Der demokratische Wert eines solchen einseitig abgegebenen Versprechens ohne Rücksprache mit den europäischen Gesprächspartnern, die die Kosten tragen würden, ist höchst umstritten.
Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt einer Währungsunion, die sich in einem Kontext befindet, in dem demokratische Anforderungen im nationalen Rahmen sichtbar und im europäischen Rahmen schwer fassbar sind. Die Eurogruppe ist ein Forum, in dem die Interessen ihrer einzelnen Regierungen, die alle durch demokratische Wahlen legitimiert sind, verstärkt werden sollten. Keine der Regierungen ist jedoch einzeln aufgefordert, die gemeinsamen Interessen der Region zu vertreten. Das gemeinsame Interesse sollte stattdessen von der Europäischen Kommission vertreten werden. Es ist jedoch kein Verhandlungspartner. Die Verwirrung ist so groß, dass beim Eurogruppen-Gipfel ein der Kommission zugeschriebenes Dokument – wahrscheinlich nur ein Vorschlag, wie man die Verhandlungen angehen soll – böswillig aus Athen durchgesickert ist. Es wurde schnell auf Eis gelegt, nachdem die Veröffentlichung eines separaten Dokuments, das den griechischen Forderungen viel feindseliger gegenüberstand, stattdessen von der Eurogruppe veröffentlicht (und von Athen abgelehnt) wurde.
Die Unbestimmtheit des Kommissionsentwurfs ohne die wesentlichen Bedingungen für die Zustimmung der anderen Regierungen verstärkte die Unnachgiebigkeit der Eurogruppe. Leider stellte sich die Frage, ob gemeinschaftliche Entscheidungen effektiver sein können als solche, die auf dem Kräfteverhältnis zwischen stärkeren und schwächeren Regierungen beruhen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker musste sich zurückziehen oder eine Konfrontation mit Bundeskanzlerin Angela Merkel riskieren und enthüllte bitter, dass die Macht in Europa immer noch bei großen nationalen Regierungen liegt und nicht in Brüssel. Junckers europäische Legitimität – als explizit gewählter Kandidat der Partei, die die Europawahlen gewonnen hat – spielt keine Rolle.
Darüber hinaus ist schwer zu sagen, dass die Auflagen, die Athen auferlegt wurden, im Sinne der demokratischen Debatte in Europa politisch nicht gerechtfertigt waren. Immerhin ist die Entscheidung der Eurogruppe das Ergebnis einer Mehrheitsabstimmung der Regierungen und die damit einhergehende europäische Debatte orientierte sich am herkömmlichen Links-Rechts-Spalten, wobei – wiederum basierend auf dem Mehrheitsprinzip – die Prävalenz vorherrschte. der finanzkonservativen Politik, die derzeit die meisten europäischen Regierungen inspiriert. Demokratie ist jedoch nicht die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, selbst wenn sie von einem undisziplinierten Land vertreten wird.
Die Frage der demokratischen Legitimität wird dadurch erschwert, dass das Abkommen der Eurogruppe nicht nur Athen betrifft. Es bedarf der Zustimmung anderer Parlamente, beginnend mit den Finnen, die im März zwei außerordentliche Sitzungen anberaumt haben, und verlangt daher, dass das griechische Abkommen bis Ende Februar festgelegt wird. Ebenso würde der griechische Antrag auf inhaltliche Änderung der bestehenden Abkommen eine neue Rechtsgrundlage schaffen und ein neues Zustimmungsvotum des Deutschen Bundestages erfordern.
Die griechische Demokratie musste sich einem weiteren externen Zeitdruck stellen: Nach Ende des Monats kann die EZB griechische Banken ohne eine politische Einigung, die Athens Fortbestand im Euro sicherstellt, keine Hilfen gewähren. Sollte die EZB ohne eine solche Vereinbarung Kredite vergeben und die Kredite dann nicht zurückgezahlt werden, würden die EZB-Verluste zu einer Umverteilung der griechischen Steuerzahler in andere Länder führen. Dies würde den Auftrag der Bank sprengen und die Rechtmäßigkeit ihres Handelns in Frage stellen. Athen hat ein Brückenabkommen beantragt, das der neuen Regierung genügend Zeit – vier Monate – gewähren soll, um eine eigene Reformpolitik zu formulieren, die im Wahlkampf offenbar nicht konkretisiert worden war.
Einerseits hat Athens Unvorbereitetheit sein gerühmtes Wahlmandat geschmälert. Die einseitige Absicht, die Regeln zu ändern, hat auch das Misstrauen in den Vordergrund gerückt, das die griechischen Rechnungslegungsfälschungen seit 2010 in den Mittelpunkt der Krise katapultiert haben - Regierungsverhandlungen. Darüber hinaus ist Transparenz bei dieser Art von Verhandlungen bestenfalls mangelhaft. Athen hat Dokumente durchgesickert, um die Verhandlungen zu beeinflussen, während die europäischen Institutionen ihren bekannten Medien ihre eigenen Hintergrundinformationen zur Verfügung gestellt haben. Jede nationale Regierung informierte auch ihre inländischen Medien, um die öffentliche Meinung zu beruhigen. Alles in allem schufen diese Aktivitäten ein kakophones Medienorchester, das in den verschiedenen Zeitzonen zwischen Dublin und Athen widerhallte.
Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis haben von Anfang an eine falsche Strategie gewählt, indem sie auf der Grundlage ihrer einseitigen Agenda eine Konfrontationsstrategie gewählt haben. In nur wenigen Wochen muss Tsipras einen vernünftigen Weg finden, das Schicksal Griechenlands mit dem Rest Europas in Einklang zu bringen. Die Wunden der nationalen Souveränität anzuprangern, ist ein schlechtes Alibi. In den europäischen Ländern werden noch rund 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts staatlich vermittelt; Besteuerung und Sozialmodelle sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. Die Staaten behalten alle Mittel, um eine Politik zu entwerfen, die den Präferenzen ihrer Bürger entspricht. Die europäischen Institutionen und die anderen Regierungen – insbesondere Deutschland – sollten die Mobbing-Haltung aufgeben und schließlich verstehen, wie kritisch es ist, Griechenland zu helfen, sich selbst zu helfen.
Griechenland bei der Durchführung des Programms Flexibilität einzuräumen ist möglich und sehr wünschenswert. Voraussetzung ist aber letztlich, dass alle einseitigen Positionen aufgeben. Die Brüsseler Verhandlungen waren sicherlich eine Warnung an alle eurokritischen Parteien, die eine Regierung anstreben und sich von Europa lösen wollen. Athen hat gezeigt, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Die Verhandlungen waren auch eine Warnung an Länder, die derzeit nicht der Troika unterstellt sind – wie Frankreich und Italien –, die darum kämpfen, die Orthodoxie der Reformen einzuhalten. Bei den Verhandlungen wurde jedoch insbesondere das Fehlen einer echten europäischen politischen Union hervorgehoben, die selbst gute Kompromisse schwer zu akzeptieren und umzusetzen macht. Das Vakuum geteilter politischer Verantwortung bietet nationalen Opportunisten zu viele Alibis und macht die Klage über das Ende der demokratischen Souveränität völlig irreführend. Misstrauen kann nicht die alleinige Grundlage des Zusammenlebens sein.